FOX LAKE CABIN I
Yukon – unberührte Wildnis im Norden Kanadas, weite Täler und Berge, unendliche Wälder, Tundren und Moore, glasklare Seen und Flüsse sowie eine einzigartige Tierwelt -das war schon immer mein Traumland. Zum dritten Mal war ich nun hier! Der Yukon lässt einen in der Tat nicht mehr los, wenn man einmal seinem Zauber erlegen ist. Nach den Jahren 2000 und 2002 war es jetzt 2005 wieder einmal soweit, dass ich mich seinem Ruf nicht mehr entziehen konnte. Während der beiden ersten Aufenthalte wohnte ich in einer Lodge, die eher den Charakter eines Luxushotels als den einer Wildnishütte hatte. Ihr Vorteil aber war, dass ich aufgrund ihres guten Angebots an Transportmöglichkeiten, Booten, Guides und derem Know-how viel von der Natur und den Gegebenheiten des Landes kennenlernen konnte und mich so bei diesem neuerlichen Besuch schon recht gut im Yukon auskannte. Mit von der Partie war diesmal Erwin, ein guter Freund, passionierter Jäger und engagierter Naturschützer. Wir hatten, weil wir beide die Natur unmittelbar erleben wollten, anders als ich zuvor, eine Hütte gebucht, in der wir allein und selbständig wohnen und die uns die umgebende Tier- und Pflanzenwelt hautnah beobachten und genießen lassen konnte. Es war das Cabin am Fox Lake, etwa 45 km nördlich von Whitehorse, nicht unweit des North Klondike Highways und direkt am Ufer des Fox- Lakes gelegen. Die umgebende Landschaft war auch jetzt, wie immer im Indian Summer einfach großartig in all ihrer Schönheit und Farbenpracht.
Die Hütte
Die Hütte selbst überraschte mit einem großen Platzangebot und war mit allem ausgestattet, was das Leben in der Wildnis komfortabel und angenehm macht. In ihrem Innern befanden sich Vorraum, ein kleines Bad, sogar mit Dusche, die Küche, Essecke,ein Wohnraum mit Schlafgelegenheiten für mindestens vier Personen. Geheizt und gekocht wurde mit Holz und Propangas, beleuchtet mit Petroleum- und Gaslampen. Gemütlichkeit und Behaglichkeit wurden hier groß geschrieben. Während ich für die Küche und das leibliche Wohl zuständig war, versorgte uns Erwin unermüdlich mit Wasser aus dem See und Brennholz für unsere Öfen. Gleich nach der Ankunft auf dem Flughafen in Whitehorse hatten wir unseren Leihwagen übernommen und uns dann downton im Supermarkt mit Lebensmitteln für die kommende Zeit versorgt. Neben der Hütte befand sich ein sogenannter Yukon-Kühlschrank, ein knapp zwei Meter tief in die Erde gelassener mit Brettern verschalter Schacht, in den die Behälter mit Esswaren an Seilen herabgelassen wurden. im Yukon herrscht ab etwa eineinhalb Metern Tiefe der beständige Permafrost, der den Inhalt dieses natürlichen Kühlschranks stets kühl und frisch hielt. Nach dem Abendessen saßen wir oft beim Schein des Herdfeuers und der Petroleumlampen gemütlich bis in die Dunkelheit hinein beisammen.
Auf der Rückseite unserer Hütte bot eine breite Veranda einen ungehinderten Blick auf den See und die gegenüberliegende Bergwelt. Von hier aus beobachteten wir Wasservögel, wie Eis- und Haubentaucher, Gänsesäger und zahlreiche Entenarten, deren Namen uns fremd waren. Große Wanderzüge von Kranichen und Kanadagänsen sahen wir wegen der schon vorgerückten Jahreszeit allerdings nur noch am ersten Abend den Himmel entlang ziehen. Dafür flog täglich zumindest ein Weißkopfseeadler direkt an unserer Behausung vorbei. Aus der immer wiederkehrenden Sichtung dieser herrlichen Greifvögel schlossen wir, dass sich ihr Horst ganz in unserer Nähe befinden müsste. Erwin hatte vor unserer Abreise zu Hause noch gesagt: „Wenn ich in Kanada auch nur einen Weißkopfadler zu sehen bekomme, bin ich schon zufrieden!“ Nun hatte er bereits am ersten Tag unsereres Aufenthaltes mehr als Grund genug dazu. Seinen strahlenden Augen sah ich an, dass er sich wie ein Kind bei der Bescherung an Weihnachten darüber freute. Die Freude, die gemeinsam geteilte Freude an den Wundern der Natur, die uns hier geboten wurden, das war es, was uns an jedem Tag dieser zwei Wochen fortwährend in harmonischer Freundschaft miteinander verband. Obwohl wir Tag für Tag und Stunde für Stunde eng bei einander waren, gab es keine Reibereien, keinen Streit, nie eine schiefe Stimmung, nie ein böses Wort. Wir waren eben beide dankbar für das, was wir hier erleben durften und woran wir uns gemeinsam erfreuen konnten, auch wenn es sich dabei oft nur um fast unscheinbare Entdeckungen und Beobachtungen handelte. So gehörten zum Beispiel zu unseren Gästen die permanent keckernden Eichhörnchen und die stets naseweisen kanadischen Häher, Gray Jay oder auch Whisky Jack genannt, die stündlich um uns waren, deren Anblick uns aber dennoch immer erfeute. Dank Erwins Spektiv und seinen lichtstarken Jagdgläsern waren wir zudem in der Lage, das bunte Treiben auf der weiten Wasserfläche vor uns gut zu verfolgen und hatten auch daran täglich unseren Spaß.
Wenn am Abend der einsame, etwas unheimlich klingende Ruf des Eistauchers über das Wasser hallte und ein prächtiger Sonnenuntergang den See vergoldete, bildete dies stets den von uns mit Stille und Andacht bewunderten Abschluß eines weiteren erlebnisreichen Tages im Yukon.
Kluane National Park
Eine strahlend aufgehende Morgensonne beschien unsere Fahrt auf dem Alaska Highway in Richtung Haines Junction. Gespannt und aufmerksam beobachten wir den niedrigen, lichten Baumbestand rechts und links der Fahrbahn. Es bedurfte längst nicht mehr der aufgestellten Hinweisschilder, um uns daran zu erinnern, dass hier zwischen Mendenhall Landing und Champagne stets mit dem Auftauchen von Wapiti-Hirschen zu rechnen war. Und da waren sie auch schon! Noch im dunstigen Frühnebel, aber schon vom Glanz der goldenen Morgensonne umstrahlt, erkannten wir ein ganzes Rudel dieser etwa pferdegroßen Huftiere, angeführt von einem mächtigen Brunfthirsch. Auch sein im Verhältnis zu seinem massigen Körper eher dünner, pfeifenartiger Brunftschrei, mit dem er das Rudel zusammenhielt und gleichzeitig potentielle Nebenbuhler warnte, war zu hören. Voller Begeisterung gaben wir uns diesem einmaligen Naturschauspiel hin.
Unser Ziel war der wegen seiner Schönheit berühmte Klauane National Park. Auf der Weiterfahrt war seine Bergkette, die Kluane Front Range, schon vom weitem zu sehen, und wir waren beeindruckt von den atemberaubenden Ausblicken in diese einmalige ursprüngliche Naturlandschaft, der das bunt gefärbte Herbstlaub dazu noch einen goldenen Rahmen verlieh. Bald darauf passierten wir den wild durch Fels und Geröll schäumenden Quill Creek und erreichten schließlich den Aussichtspunkt zum traumhaft in die Landschaft eingebetteten Kathleen Lake, der ein wenig an einen unserer heimischen Alpenseen erinnerte.
Von hier aus sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Kathleen River – für mich der schönste Angelfluss auf der ganzen Welt, wie ich bei Angelausflügen während meiner ersten Aufenthalte feststellen konnte. Und schon bald erreichten wir auch seine verheißungsvoll türkisblauen Fluten , die ein reiches Vorkommen an Polaräschen, Regenbogenforellen und Flusssaiblingen beherbergen. Natürlich musste hier ein Stop eingelegt und wenigstens kurz die Angel ausgeworfen werden. Die Lizenzen dazu hatten wir ja bereits gleich nach der Ankunft bei Canadian Tire in Whitehorse erworben.
Unser Angelabenteuer am Kathleen River währte indes nicht allzu lange, denn ich wollte Erwin, der ja zum ersten Mal im Yukon war, noch mehr von seinen landschaftlichen Reizen zeigen. Rechts und links des Haines Highways, entlang der kegelförmigen Bergen der Kluane Front Range, glühte der Indian Summer in farbiger Pracht.
Nachdem wir den den Flying Squirrel Creek überquert hatten, erreichten wir Klukshu-Village, ein Sommercamp und Lachsfanglager der Southern Tutchone Indianer. Hier im Laichgebiet endet die lange Reise der pazifischen Rotlachse. Ein Teil von ihnen dient der First Nation Bevölkerung geräuchert als Winternahrung. Der Großteil aber gelangt hier zum Ablaichen und damit zum Neubeginn ihres Fortpflanzungszyklus. Auch ihr Sterben danach erfüllt die Aufgabe der Lebenserhaltung, bringen sie doch so den reichen Kaloriensegen des Meeres mit ihren Körpern ins Land, wo hungrige Bären, Wölfe, Füchse, Raben und andere Tiere ihn bereits hungrig erwarten. Bei unserer Ankunft war der Hauptsrom der laichenden Lachse, die sonst Rücken an Rücken die gesamte Strombreite wie mit einem roten Teppich überzogen, bereits vorüber. Nur noch einzelne Exemplare standen am Gewässergrund. Deutlich war das Grün ihrer Köpfe und Schwanzflossen zu erkennen, das einen klaren farblichen Kontrast zum Blutrot ihren sonstigen Körper darstellte. Einst waren sie völlig silberblank aus dem Meer in den Fluss aufgestiegen. Erst während ihrer etwa zweihundert Kilometer langen Reise, auf der sie keinerlei Nahrung mehr aufgenommen hatten, war diese Veränderung aufgetreten. Neben der farblichen Metamorphose hatte sich dazu auch das Maul der männlichen Tiere zum sogenannten Laichhaken umgebildet. Lange standen wir beide am Ufer und schauten dem Spiel dieser prächtigen Fische zu.
Zurückgekehrt von unserem Ausflug entlang der Kluane Front Range und noch ganz unter dem Eindruck der dort gesehenen Naturwunder stand ich am späten Nachmittag dieses bereits jetzt schon so erlebnisreichen Tagess auf der Veranda unserer Cabin und ahnte nicht, welch spektakuläres Ereignis uns jetzt noch zusätzlich bevorstehen sollte. Mit einem Male vernahm ich nämlich lautes Planschen vom See her. Da ging geht jemand mit kraftvollen Schritten durchs Wasser. Wer oder was war das – ein Mensch oder einTier? Gespannt schaute ich hinunter. Mir stocket der Atem, als ich sah, wie sich da plötzlich ein mächtiges Geweih durch die Lücken im Gebüsch schob. Ein Elchbulle kapitalen Ausmaßes schritt majestätisch und ohne mich eines Blickes zu würdigen keine dreißig Meter entfernt an mir und unserer Hütte vorbei. „Erwin, ein Elch!“, schrie ich und lief, um schnell den Camcorder zu holen. Allerdings war ich im Moment iviel zu aufgeregt, um ihn auch bedienen zu können.
Aber dann fiel die Erstarrung von mir ab, und ich eilte dem sich rasch entfernenden Tier durch den Uferwald nach. In einer Lichtung, direkt vor einer kleinen Seebucht, holte ich ihn glücklicherweise ein und hatte von hier aus nun auch genügend Zeit, ein paar Aufnahmen von ihm zu machen, bevor dieser überaus kapitale Recken des Yukon am gegenüberliegenden Ufer im Wald verschwand.
Dankbar und ungläubig staunend zugleich erfuhren wir einmal mehr, wie der Yukon einen bereits vollkommen geglaubten Erlebnistag doch immer wieder noch mit einem besonderen Höhepunkt zu krönen vermochte.