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Wildnis im Anklamer Stadtbruch

Südöstlich der Stadt Anklam, am Stettiner Haff in Mecklenburg-Vorpommern, erstreckt sich über eine Fläche von fast fünfzehn Quadratkilometern das Naturschutzgebiet Anklamer Stadtbruch. In seinem Zentrum befindet sich ein von Regenwasser gespeistes Hochmoor, das von naturnahen Feuchtwäldern umgeben ist. Früher wurde hier Torf als Brennmaterial für die Stadt Anklam gestochen, wofür der Stadtbruch mit Entwässerungsgräben durchzogen wurde. Während einer Sturmflut im November 1995 brachen die Deiche und das gesamte Gelände verwandelte sich in eine wilde Landschaft mit weiten Wasserflächen, baumfreien Hochmooren und feuchten Bruchwäldern. Die Westseite des Stadtbruchs wird kilometerlang von einem dichten Streifen abgestorbener Bäume gesäumt. Es sind die Eichen und Kiefern eines ehemaligen Waldes, deren Wurzeln die ständige Überflutung nicht überstanden haben. Im kahlen aber starken Geäst der mächtigen Baumskelette haben Seeadler ihre oft tonnenschweren Horste gebaut. Vor der Kette der toten Bäume breiten sich mit Schilf und Wasserpflanzen bewachsene Flachwasserzonen aus, die vor allem für die Vertreter der Wasservogelwelt einen idealen Lebensraum darstellen. Hier tummeln sich Schwäne, Gänse, Rallen, Taucher und Reiher. Mehlschwalben gleiten in elegantem Flug über die Wasserflächen.



Wildnis und unberührte Natur empfängt den Beobachter, sobald er den Mühlgraben mit der darin blühenden, seltenen Schwanenblume überquert und seinen Fuß auf den bewachsenen Waldweg gesetzt hat, der ins Innere des Anklamer Stadtbruchs führt. Wild, ungehemmt und ohne jedes menschlichen Eingreifen wächst und gedeiht hier die Pflanzenwelt. Dicht und undurchdringlich erscheinen Schilf, Gebüsch und Unterholz. Am Wegrand blühen Wildblumen, umflattert und umsummt von Schmetterlingen und Insekten. Ähren langstieliger Gräser wehen darüber im Wind. Ab ud zu lässt ein Vogel seinen Gesang ertönen. Einzeln oder verstreut in losen Gruppen stehen in unregelmäßigen Abständen die Laubbäume. Geisterhaft recken bleiche Baumskelette ihre toten Äste in den Himmel. Bereits abgestürzte Baumriesen liegen wie natürliche Brücken quer über verwilderten und zugewucherten Abzugsgräben. Der Begriff ‚Urwald‘ drängt sich auf.



Ein schmaler, kaum erkennbarer Pfad führt durch dichten Schilfwald zum Wasserlauf eines ehemaligen Torfstichs. An seinem Ende taucht der Umriss einer Biberburg auf. Sie wirkt alt und unbewohnt. Auch die Nagespuren an den Hölzern um sie herum sind schon lange nicht mehr frisch. Und doch bewegt sich plötzlich, leider durch Schilfhalme verdeckt und deshalb nicht eindeutig zu identifizieren, ein Tier im Wasser auf sie zu. Ein Biber dürfte es jetzt in der hellen Mittagsstunde wohl kaum sein. Außerdem bringen Biber nicht nur grünes Blattwerk im Fang zur Burg, sondern eher ganze Zweige und Äste. Es wird sich wohl um einen Bisam handeln, denn oft teilen sich ja die erheblich kleineren Nager mit den Bibern deren Baue. Gespannt richten sich alle Sinne auf ein erneutes Erscheinen des Unbekannten. Alles bleibt zunächst jedoch ruhig, bis dann erneute Wellenbewegungen anzeigen, dass doch irgendein Baubewohner die Burg wieder verlassen hat. Das allerdings vollzieht sich alles unterhalb der Uferkante, sodass wiederum nicht zu sehen ist, wer die Wellen erzeugt. Auch die weitere Beobachtung des kompletten Abzuggrabens bleibt diesbezüglich ohne Ergebnis. Drei Höckerschwäne sind es dann, die in die angespannte Stille doch noch Leben und Bewegung bringen, indem sie zuerst elegant in den Graben einziehen, ihn dann aber nach einem offensichtlichen Streit untereinander wieder verlassen. Unvermittelt ist da aus der Ferne das heisere Rufen eines Seeadlers zu hören. Mehr als zwanzig Brutpaare nisten ja hier im Stadtbruch. Zu sehen ist der Greif allerdings nur als kleiner, schwarzer Punkt im weiten Blau des Himmels. Einige Rätsel gibt auf dem Heimweg die abgetrennte Oberarmschwinge eines Kranichs auf, die da plötzlich im Gras liegt. Fragen nach dem Warum und Woher dieses makabren Fundstückes drängen sich auf, werden aber wohl ohne Antwort bleiben müssen.


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