Auf der Suche nach dem Ursprünglichen
Bereits im Jahre 1855  hielt Chief Seattle, Häuptling der Duwamish-Indianer, als Antwort auf  das Ansinnen der amerikanischen Regierung, vertreten durch den damaligen  Präsidenten Franklin Pierce, das Land der Indianer kaufen zu wollen,  seine mittlerweile berühmt gewordene Rede. Sie ist in ihrer kompromisslosen  Klarsicht der Sachverhalte, in ihrer tiefblickenden Einsicht in die Lebenszusammenhänge von Mensch und Natur und in ihrer geradezu  prophetischen Weitsicht, was die bis in unsere Gegenwart  hineinreichenden Probleme und Konsequenzen anbelangt, in einzigartiger Weise wichtig und beachtenswert. 
Unter Titeln wie: Meine Worte sind wie Sterne, Wir sind ein Teil der Erde, Wie kann man den Himmel verkaufen?oder Die Erde gehört nicht uns. Wir gehören der Erde, sind seine Worte und Gedanken in mehrfacher Ausgabe im Buchhandel erhältlich.
 
Auf  der gedanklichen Suche nach dem Ursprünglichen, zu der mich das  Yukon-Holz angeregt hat, bin ich immer wieder auf jene Ausführungen  zurückgekommen und zitiere daraus, um meine eigenen Vorstellungen und  Empfindungen durch sie zu präzisieren und zu untermauern. Wenn auch Häuptling  Seattle und seine Duwamish im einstigen Indianerland der heutigen  Vereinigten Staaten von Amerika und nicht im Yukon-Territory Kanadas lebten, so sind seine Einsichten und Mahnungen dennoch nicht nur leicht dorthin übertragbar, sondern für das Zusammenleben von Mensch und Natur in jedem Teil unserer Erde von außerordentlicher Bedeutung.

Irgendwo am Ufer des Flusses, der die  überschüssigen Wassermassen des Louise Lake in den Kathleen Lake leitet, hatte sie gestanden, eine Schwarzfichte wie viele andere neben ihr, war  in den kurzen Frühlings- und Sommerwochen zu neuem Leben erwacht, hatte Äste, Zweige, Nadeln, Samen und Früchte hervorgebracht und in der langen kalten Frost- und Winterzeit ihr Leben gedrosselt. Allzu hoch hatte sie ihren Wipfel während ihres Wachstums nicht in den Himmel  erhoben, nur etwa gut 15 Meter, so wie es sich für eine wahre Black-Pine des Yukon geziemt. 
Viele Male war der Wechsel der Jahreszeiten an ihr vorübergezogen. Sie hatte die Erstarrung in Eis und Schnee erlebt, das Bersten des Flusseises im späten Frühjahr, die der Wärme folgenden Moskitoschwärme, die Sonnestrahlen des kurzen Sommers, das leuchtende Verfärben an den steilen Berghängen über ihr, den herrlichen Indian Summer, und dann wieder die Kälte und Nacht des langen west-kanadischen Winters. Vielfältiges Leben hatte sich um sie herum ausgebreitet. Vorbeiziehende Elche hatten mit Geweihschaufeln ihre unteren Äste gestreift, Eichhörnchen in ihren Zweigen gespielt, Waldhühner im Dickicht ihres Geästs Ruhe und Geborgenheit gefunden. Weißkopfseeadler waren achtlos über sie hinweggeflogen, einmal hatte sich aber auch ein Fischadler auf ihrer Spitze ausgeruht. Schwarzbären hatten die saueren Beeren der sie umgebenden Schneeballensträucher genascht, und so mancher Grizzly sein juckendes Fell an ihrem Stamm gescheuert. Die abgenagte Rinde der Laubholzbüsche um sie herum zeugte vom eifrigen Nahrungssuchen der Stachelschweine. Im Fluss waren Tausende und Abertausende von Äschen, Forellen und Saiblingen auf dem Weg zum Ablaichen an ihr vorübergezogen.
Werden und Vergehen hatte sie gesehen, bis dann der Tod schließlich auch zu ihr selbst gekommen war. Ihr Sterben vollzog sich langsam und zunächst kaum wahrnehmbar. Was war zuerst? Das Ausfallen der Nadeln und Dürrewerden an der Spitze oder das Kraftloserwerden, nicht mehr voll Versorgen-Können und langsam Loslassen-Müssen der Wurzeln?! – Jedenfalls neigte sie sich allmählich immer mehr zur Seite, dabei kahler und trockener werdend, bis sie, einer Absperrbarriere gleich, nahezu waagrecht über dem Wasserspiegel hing. Ein heftiger Herbststurm brachte sie schließlich gänzlich zu Fall, und sie blieb, von der Strömung ein wenig abgetrieben, im seichten Uferwasser liegen. Hitze und Frost, Eis und Schnee, Wasser und Bewegung, Verwitterung und Fäulnis arbeiteten an ihr Jahr um Jahr. Wurzeln, Zweige und Äste brachen ab, wurden abgerissen und trieben davon. Der untere Teil eines mittelstarken Wurzeltriebes, samt seinen Abzweigungen und Saugwurzelansätzen, wurde von der Flut weggetragen und blieb schließlich nahe eines Felsens unter einem Gewirr von anderem Treibholz hängen. Mehrere Jahre verbrachte er so, Wasser, Wetter, Wind und wechselnden Temperaturen ausgesetzt, bis ihn die Flutwelle eines neuen Frühjahres wieder frei spülte und den Fluss entlang in den See hinein mitnahm und er endlich in jene Bucht des unteren Kathleen-Sees geschwemmt wurde, und wo er schließlich als das Yukon-Holz von mir gefunden und als solches bezeichnet wurde?

In meine Hand gelangte das Yukon-Holz exakt  am 12. September des Jahres 2000. Seit zehn Tagen war ich nun schon im Yukon, meinem Traumland. Von Jugend an hatte ich vom Norden des amerikanischen  Kontinents geträumt, von seinen Landschaften, seinen Bergen und Weiten, von den Wäldern, Seen und Flüssen, von seinen Tieren und Menschen, von  Indianern und Trappern, von Blockhütten und Zelten. Und nun war  ich tatsächlich selbst dort, konnte die erträumte Wirklichkeit mit  eigenen Augen sehen – und sie war schöner und gewaltiger als in den kühnsten  meiner Träumen. Adler, Elch und Schneeziege hatte ich als begeisterter Naturliebhaber in den vergangenen  Tagen schon gesehen, Rotlachs, Äsche, Regenbogenforelle und Namaycush als enthusiastischer Fliegenfischer bereits gefangen. Und gerade wegen letzterer, der Namaycush, die  amerikanisch bezeichnet „Lake trout“ und mit  indianischem Namen „Namaycush“ genannten, herrlich gezeichneten Seesaiblinge, war ich heute  in Begleitung meines Guides und mittlerweile auch  Freundes Lonnie hier. Ihre Färbung und Zeichnung, grauschwarz mit nahezu  makellos weißen Tupfen auf der Oberseite, silbergrau oder auch, wohl  je nach Ernährungsweise, hell orange leuchtend ihr Leib und die  Bauchflossen, ihre Größe und Kampfkraft, dazu die Tatsache, dass sie mit  der Fliege nur schwer, nur mit dem richtigen Fachwissen und der exakten  Technik an den Haken zu bringen waren – all das hatte es mir einfach  angetan!
Lonnie hatte mich damals am ersten Tag am Lower Kathleen bereits darin eingewiesen, hatte mir zunächst vom Boot aus die Stellen im klaren Wasser gezeigt, an denen die begehrten Namaycush zu viert, zu sechst oder acht in kleinen Trupps auf der Suche  nach Nahrung im Rudel vorbeizogen, hatte mir dann demonstriert, in welchem Winkel die große Nassfliege gegen die Strömung, die der  Kathleen River auch im See hier noch behauptete, auszuwerfen war, in  welcher Tiefe sie driften musste, um keine Hänger zu produzieren, wie  ich die Schnur danach zu straffen und mit kurzen Rucken einzuholen  hatte, welcher Bogen dabei zu beachten war, damit sich schließlich der  ersehnte Kontakt einstellen konnte. Und obwohl ich eigentlich ein von Herzen überzeugter Trockenfliegenfischer war und deshalb am ersten Tag dort auch nach dem Fang zweier „Lake-trouts“ mit dem Nassfischen  aufhörte, um mich lieber mit Rehhaar-Segdes den Äschen und vor  allem den wild kämpfenden Regenbogenforellen zu widmen, war ich  begeistert und fasziniert von der Waid auf die für mich bis dahin unbekannten und deshalb auch ein wenig exotisch anmutenden „Namaycush“.
An diesem erwähnten  zweiten Fischtag hatte Lonnie nun ohne große Mühe bereits vier stattliche  Exemplare gefangen, während ich bis dahin immer noch nicht nur „Schneider“ hieß, sondern es auch geblieben war. Natürlich hatte ich versucht, alles richtig zu machen, und mir Mühe gegeben, aber es war alles umsonst gewesen! Herrlich anzusehen war zwar das Panorama des Sees mit seinen bewaldeten Ufern vortden in der Ferne sich auftürmenden Berggipfeln, mir dem Weißkopfseeadler, der  sich schier mühelos immer höher und höher in den blauen Himmel hineinschraubte, dem buntgefärbten Cooper Hawk, der einen Moment lang rüttelnd  über unserem Ufer stand, den beiden Whiskey Jacks, die im Wipfel einer Black Pine miteinander stritten, und dem braun-weiß-blau gefärbten Kingfisher, der sich wieder und wieder vom Ast eines Baumes mit so viel mehr Fangerfolg in die Fluten stürzte, als ich ihn zu  verzeichnen gehabt hätte. Noch immer hatte ich nichts gefangen! Um einer weiteren  Frustration meinerseits vorzubeugen, machte Lonnie den vernünftigen Vorschlag, zuerst einmal eine Teepause einzulegen. Ruhe und Konzentration sollte ich wieder gewinnen. Doch obwohl mir die  Unterbrechung sicherlich gut tat – an meinem Fangergebnis änderte sich auch nach dieser Pause zunächst weiterhin nichts.
Noch einmal –zum  wievielten Male eigentlich? – zeigte mir mein unermüdlicher Guide das  Auswerfen, Absinkenlassen, Einholen von Schnur und Köder – mit dem einzigen Erfolg, dass er dabei seinen jetzt schon fünften Fisch fing, und ich keinen! Dieser Fang  sollte sich allerdings dann doch auch für mich als bedeutsam herausstellen. Nicht  nur deshalb, weil es dann später endlich auch bei mir klappte und ich endlich, endlich im wahrsten Sinne des Wortes „den Bogen raus“ hatte, also endlich richtig auswarf, einzog und anschlug, und nun nicht mehr nur den „bottom“ und damit den Yukon selbst gehakt hatte, und nach dem  heißersehnten Ruck dieses Mal starkes, ziehendes, pochendes Leben am  Ende meiner Angelschnur spürte, sondern weil jener fünfte Fang Lonnies mir nämlich völlig unverhofft mein Yukon-Holz bescherte.
Wir hatten kurz zuvor  beschlossen, diesen zuletzt gefangenen Fisch zum Hauptbestandteil unseres Mittagslunches zu machen,  während wir sonst ja üblicherweise  „catch and release“ praktizierten. Mit Salz, Pfeffer und Zitrone in  Folie gewickelt, sollten seine orangeroten Filets uns, am Campfeuer  saftig blassrosa gegart, zusammen mit Brot und Bier zu einer köstlichen Mahlzeit werden. Das Abschlagen des  Fisches besorgte Lonnie übrigens mit einem Stück Holz, das er am Ufer, wahllos vor sich vom Boden liegend, aufgegriffen hatte, um es nach getaner Arbeit  wieder achtlos dorthin zurückzuwerfen. Zufällig fiel mein Blick auf  jenes aufs Geradewohl ergriffene Werkzeug, und, beeindruckt von seiner  Form und seinem Aussehen,  hob ich es auf und betrachtete es näher:  welch eigenwilliges Gewächs mit Verdickungen, Verjüngungen, Höckern, Vertiefungen, Abspreizungen, Augenknöpfen, Spalten und Rissen hielt ich  da in der Hand! Ein wahrhaft seltenes und seltsames, merkwürdiges und  bemerkenswertes Gebilde! Fast automatisch schloss  sich meine rechte Hand um den sich verjüngenden Teil, wobei meine Finger sich nahezu passgenau in dessen Mulden und Ausbuchtungen hineinschmiegten, während meine linke Hand sich unwillkürlich um den  ausladenderen, dickeren Teil des anderen Endes schloss, seine glatte  Oberfläche und seine abgeschliffenen Rundungen mit einer fast  liebkosenden Bewegung umfassend. Übrigens, genau so halte ich das Yukon-Holz auch  heute noch, wenn ich es von seinem Ruheplatz auf meinem Schreibtisch auf und an mich nehme. Und jedes Mal spüre ich die Ruhe und Wärme, die von ihm ausgeht und sich gleichermaßen in mir, meinem  Denken und Empfinden ausbreitet. Jedes Mal ist mir dabei, als halte ich  damit den ganzen Yukon in meiner Hand. All das, was ich dort erlebt und gesehen habe, kommt mir dann augenblicklich wieder in den  Sinn. Schon auf dem Hinflug hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, was ich wohl als Erinnerungsstück aus meinem Traumland mit nach Hause nehmen könnte: einen wertvollen Nugget etwa, ein Stück Elchgeweih, eine prächtige Fischtrophäe oder auch nur einen einfachen aber markanten Stein – als ich dann dieses Stück Holz in Händen hielt, wusste ich sofort: „Das und nichts anderes ist mein Yukon-Souvenir!“  

Gesichter, Gestalten, Geschöpfe der Natur und der Fantasie, Gegenstände, ganze Landschaften und geologische Formationen zeigt das Yukon-Holz, je nachdem, wie man es dreht und wendet, stellt oder legt, in welchem Licht oder vor welchem Hintergrund man es betrachtet. Eine Fülle von Ansichten und Einsichten ergeben sich dabei. Sie alle regen an zum Nachdenken, Meditieren, Philosophieren.
Wie die Landmasse des Yukon selbst liegt  das Holz vor mir: breit und ausladend, in seinem vorderen, verdickten Teil, einem großen Landrücken mit Weiten und Flächen, Senken und  Erhebungen gleich, durchzogen wie von Adern mit Fluss- und Bachläufen, dahingestreckt wie ein riesiger Gletscher mit Spalten und Rissen, gekrönt von schroffen, spitzen aber auch sanft abgerundeten Berggipfeln.

Knopfaugenförmige Rundungen erinnern an Seen, Teiche und Tümpel. Senkrechte Abstürze lassen an Felswände und Abgründe denken. Nahezu konzentrische Kreise auf der Unterseite gleichen den Höhenlinien einer Landkarte.

Eis, Geröll, Wasser und Wind haben das Holz  zu dieser Form geschliffen – genauso wie die Eiszeiten  mit ihren urzeitlichen Kräften, Elementen und Gewalten einst das Land  geformt haben.  Verborgen in seinem Innern, eingelagert in Gesteinschichten, in der Erde  begraben, eingebettet in den Kies der Flüsse und Bäche liegt ein Element, das für viele Menschen den Yukon erst zum  begehrenswerten Land gemacht hat,  das Gold!  In den Jahren des  großen Goldrausches von 1897 – 1899 haben Zehntausende das Land besucht, besser heimgesucht, um ihm Teile dieses Reichtums zu entreißen. Davon, wie gründlich und  mit welcher Rücksichtslosigkeit das damals geschah, erzählen Berichte und Fotografien aus jener Zeit. Auch heute noch reißen Maschinenungetüme  auf der Suche nach dem vermeintlichen Reichtum kaum heilende Wunden in  zuvor intakte Landschaften und Lebensräume. Wenn man, etwa im Tal des  Klondike, die schier endlosen Ketten des auf der maschinellen Goldsuche  zurückgeblieben Kiesschuttes betrachtet, erschrickt man darüber, mit  welcher Gleichgültigkeit gegenüber der Natur der Mensch vorgeht, wenn es  um seinen finanziellen Gewinn und wirtschaftlichen Profit geht.
Das hat Chief Seattle, Häuptling der Duwamish, vor knapp 150 Jahren schon  erkannt und über den in die Natur seiner Heimat eindringenden weißen  Mann geurteilt: „Wir wissen, dass der weiße Mann unsere Art nicht  versteht. Ein Teil des Landes ist ihm gleich jedem anderen, denn er ist  ein Fremder, der kommt in der Nacht und nimmt von der Erde, was immer er braucht. Die Erde ist sein Bruder nicht, sondern sein Feind, und wenn  er sie erobert hat, schreitet er weiter… Er stiehlt die Erde von  seinen Kindern – und kümmert sich nicht. Er behandelt seine Mutter, die  Erde, und seinen Bruder, den Himmel, wie Dinge zum Kaufen und Plündern, zum Verkaufen wie Schafe oder glänzende Perlen.“ Dabei ist das unverdorbene und unverfälschte Zusammenspiel der Natur, ist die Weite,  die Stille und unglaubliche Schönheit dieses kaum von Menschen besiedelten, ursprünglichen Landes, die Kühle seiner Schneegipfel, das tiefe Schweigen seiner unendlichen Wälder, die Klarheit der Flüsse und Seen, die Reinheit der Luft, das Farbenspiel des Nordlichts, seine  Unberührtheit und Unversehrtheit das, was seinen eigentlichen Wert und  unwiederbringlichen Reichtum ausmacht
Für die meisten Menschen  damals wie heute ist Gold der Inbegriff von Reichtum, Glück, Sicherheit  und Geborgenheit. Welcher Trugschluss das sein kann, erfuhren nicht nur die, denen der große Fund erst gar nicht gelang und die darüber  hinaus noch das wenige verloren, was sie einst hatten, sondern auch die Glücklichen und Erfolgreichen, die in der Tat auf das heißbegehrte Erz stießen. Sie hatten oft nicht lange Zeit und Gelegenheit, sich ihres Glücks zu freuen, sondern mussten mit dem Neid, der Gier, dem Hass, der  Verschlagenheit, gar der Mordlust anderer rechnen und kämpfen – ein  Kampf, den viele verloren. Vom Gold allein geht  nicht einfach das Glück des Lebens aus. Um wirklich glücklich zu sein  und das Grundgefühl der Geborgenheit im Leben zu entwickeln, braucht der  Mensch ungleich viel mehr, nämlich einen Sinn, eine Aufgabe, einen  Glauben und eine Hoffnung, braucht er Anerkennung, Liebe, Gemeinschaft  und Freundschaft.
Gold allein kann das nicht leisten und vermitteln, es kann höchstens die materiellen  Grundlagen dazu sichern und erweiterte Lebensmöglichkeiten erschließen. Gold an sich ist, nüchtern betrachtet, ein Metall, das ein wesentlich höheres spezifisches Gewicht als andere hat, das weder im Wasser noch an der Luft oxydiert, so dass es immer glänzt, gleich, wo man es findet – ob  als Ader in einer Felswand, als tropfenförmiges Gebilde in den Wurzeln eines Baumes hängend oder als Nugget und Staub im Kiesbett eines  Gewässers. Diese Eigenschaften und sein relativ seltenes Vorkommen  machen es wertvoll, und es ist hervorragend geeignet, als  Bemessungsgrundlage für andere Werte zu dienen. Völlig unbrauchbar,  seiner Weichheit wegen, ist es dagegen bei der Herstellung von  Gebrauchsgegenständen wie Waffen, Werkzeugen oder Angelhaken. So wurde  es in erster Linie Zahlungsmittel und Basismaterial der  Schmuckerzeugung. Was das Gold wirklich wertvoll und kostbar macht, ist seine ideelle Einschätzung durch den Menschen. Und so liegt die  Besonderheit des Nuggets, den ich meiner Frau mit nach Hause brachte,  auch nicht in seinem Dollar-Gegenwert, sondern darin, dass es ein  Geschenk der Liebe ist. Sicher hätte es seinen ideellen Wert noch gesteigert, wenn ich das kleine Goldklümpchen irgendwo selbst gefunden  hätte. Man hat ja heutzutage auch als Tourist die Möglichkeit, in  speziell dafür abgesteckten Claims zu schürfen. Aber die Zeit, die ich  dafür hätte aufwenden müssen, wäre mir viel zu schade gewesen, angesichts der Möglichkeit, stattdessen zum Fischen zu gehen, die Natur  zu beobachten oder auch nur um da zu sein und in ihre Stille  hineinzulauschen. Wenn Mitte bis Ende September der Indian Summer die Blätter der Zitter- und Balsampappeln überall im Land leuchtend gelb bis  satt orange färbt, wenn die Luft von diesen Farben nur so flimmert,  dann sehe ich mein Gold im Yukon und das in einer unvergleichlich  überwältigenden, verschwenderischen Fülle und Pracht.
Tiere vor allem sind und waren es, die mich mit so großem Verlangen in den Yukon gezogen haben, und er hat mich diesbezüglich nicht enttäuscht. Was habe ich nicht schon alles während meines ersten Aufenthaltes dort gesehen und wahrgenommen: den trillernden Ruf des Eistauchers über dem Wasser, die rauschenden Schwingen der Tundraschwäne, das Rudel Schneeziegen, das als weißes Einsprengsel im Bunt der Bergmatten steht, den Elchbullen, der kraftvoll aber ohne Eile unseren Weg kreuzt, die Elchkuh, die mit ihrem Kalb ruhig und gelassen am Flussufer steht, das Waldhuhn, das vertrauensvoll auf seinem Fichtenast sitzenbleibt, das Eichhörnchen, das mich als Eindringling keckernd beschimpft, den Coyoten, der ohne Scheu den Weg entlang streift, den Schwarzbären, der plötzlich am anderen Flussufer durch das Dickicht bricht und mir Bewunderung und Furcht zugleich einflößt, den Weißkopfseeadler, der sich majestätisch von seinem Ruheplatz auf dem Tannenwipfel in die Lüfte erhebt, das große Wapiti-Hirsch-Rudel, das friedlich am Straßenrand grast, die Forelle, die sich mit kräftigem Schwanzschlag aus dem Wasser schnellt, die Äsche, die im klaren Kolk aufsteigt und die Fliege von der Oberfläche nimmt, die Rotlachse, die sich zum Laichen im Bach versammeln, den Zug der Kanada-Gänse am Himmel, den Formationsflug der Gänsesäger über dem Flusslauf, die um die Baumwipfel schwirrende Schar der behelmten Wax-Wings, den Whiskey-Jack, der in langem Gleitflug meinen Angelfluss überquert – einmalige Eindrücke dieses so tierreichen und dafür zum Glück so menschenarmen Landes!
Grizzly, Wolf, Karibou, Dall-Schaf, Biber,  Fischotter und Stachelschwein stehen noch auf der  Beobachtungswunschliste, aber ich bin sicher, weitere Yukonreisen werden  mir auch deren Anblick noch bescheren. Tiere in freier Wildbahn, in  ihrer natürlichen Umgebung zu sehen und zu beobachten, was gibt es  Schöneres?! Ich jedenfalls liebe es, und brauche es zu meinem Glück. Ich  denke, Häuptling Seattle hat recht, wenn er sagt: „Was ist der Mensch ohne die Tiere? Wären die Tiere fort, so stürbe der Mensch an großer Einsamkeit des Geistes!“
Schon während meiner  Kinder- und Jugendzeit hat mich das Erleben der Natur geprägt, das  Erlebnis „draußen“ zu sein, draußen in Feld und Wald, an Bach, Tümpel  und Teich. Schon damals waren es die Wildtiere, die mich faszinierten und anzogen. Gegen Ende des letzten Krieges geboren, war ich zu Beginn  der 1950er Jahre gerade mal ein Knirps von sechs Jahren, der mit seinen nur unwesentlich älteren Spielkameraden anfing, die heimatlichen Feld- und  Waldfluren zu durchstreifen. Wir waren zu dieser Zeit nicht gerade mit  Spielsachen und Spielmöglichkeiten überhäuft. Öffentliche Spielplätze  waren noch so gut wie unbekannt, die “Segnungen“ des Fernsehens gab es  noch nicht oder waren zumindest für das tägliche Leben noch ohne  Bedeutung. Und so blieb uns zum Spielen und zum Zeitvertreib eigentlich  nur die Straße, die „Gass“, wie wir sagten, und wenn wir davon noch von  tatsächlich ruhegestörten oder auch nur schlicht verständnislosen  Erwachsenen vertrieben worden waren, der Wald und das Feld. Im Grunde  genommen genügten sie uns auch vollkommen, denn sie boten uns alles, was  wir brauchten: Raum und Ungestörtheit, Versteck und Unterschlupf,  Material zum Bau von Hütten und zum Anfertigen unserer „Waffen“, auch die Mahlzeiten für den Zwischenhunger in Form dessen, was wir uns von  Äckern und Gärten per Mundraub stibitzten. Hier waren wir zu Hause. Hier  kannten wir uns aus. Wir wussten, wo die ersten Schlüsselblumen blühten und wo man die Maiglöckchen für den Muttertag  pflücken konnte. Wir wussten, wie viele Rehe im Revier standen, welcher Fuchsbau befahren war und  welcher nicht, in welchen Baumkronen die Bussarde ihre Horste hatten und  welches die Schlafbäume der Fasanen waren. Gar manchen Nachmittag haben  wir dort draußen verbracht mit Indianerkampf oder auf der Jagd nach den  Eidechsen am Bahndamm und den Molchen und Fröschen in den Bombentrichtern, die der vergangene Krieg hinterlassen hatte. Kamen wir dann abends abgerissen,  schmutzig, müde aber glücklich nach Hause und hatten das gemeinsame  Abendessen samt dem elterlichen Donnerwetter wegen des zu langen  Ausbleibens, einer zerrissenen Hose oder vernachlässigter Pflichten für Haus und Schule hinter uns, wurde der am Tag gestillte Erlebnishunger  durch die Lektüre von Tier- und Abenteuerbüchern schon wieder neu  entfacht. In jenen frühen Jahren war es gerade die bereits in den 1930er-Jahren von Erich Kloss geschriebene und von Moritz Pathé mit  eindrucksvollen Federzeichnungen illustrierte Geschichte eines Jungen,  der die Jahreszeiten in einem Forsthaus verbringt, die Tiere des Reviers  beobachtet, dabei manches Abenteuer erlebt und schließlich seine  Ausbildung zum Förster macht, die mich in ihren Bann zog und in mir  den Wunsch erweckte, selbst einmal Förster zu werden. Ich erinnere mich  noch gut, wie ich damals oft, meinem literarischen Vorbild folgend, mit einem  sehr einfachen, nahezu nutz- und wertlosen Fernglas um den Hals, das ich aber dennoch stolz als meinen wertvollsten Besitz  betrachtete, hinaus in den Wald zu meinen Pirschgängen zog.
Dieser Angewohnheit blieb  ich auch in späteren Jahren noch treu, nur dass ich dann eben in die  Rollen anderer Buch- und Romanhelden schlüpfte. Die Indianer und  Bleichgesichter eines Karl May mussten dafür ebenso herhalten, wie die  Abenteuergestalten Jack Londons oder die Siedler, Eingeborenen, Forscher und Biologen aus den Büchern von Allen Roy Evans und Fred Bodsworth. Es konnte auch vorkommen, dass ich als rotröckiger RCMP-Polizist oder als  patrouillierender Nationalparkwächter meine Streifen zog. Da ich mit  Vorliebe Expeditionsberichte las, „führte“ ich auch manchmal fiktive  Expeditionen durch „unser“ Revier und war stolz, wenn ich meinen ja nur  eingebildeten Pirschgästen recht viel Wild zeigen konnte. Dabei kam es  häufig zu merkwürdigen Verwandlungen, wurde doch aus einem Sprung Rehe mit einem Male eine Herde Karibous, aus einem Fuchs ein Wolf und aus  einem harmlosen Feldhasen urplötzlich ein reißender Grizzly. Auch wenn ich als  Erwachsener die Dinge jetzt natürlich nüchtern und realistisch betrachte, habe ich mir doch die Liebe zu Tier- und Naturbeobachtungen  ebenso bewahrt, wie ich die Vorfreude schätze, die von der Vorbereitung  und Durchführung solcher Unternehmungen ausgeht. Noch heute lacht meine  Frau über die Berge von Ausrüstungsgegenständen, die sich am Vorabend  eines Natur- oder Angelausfluges in unserer Eingangsdiele auftürmen, und kann sich dann meist in Anspielung auf eine bekannte Fernsehserie die Bemerkung  nicht verkneifen: „Aha, wieder mal: Expeditionen ins Tierreich!“
Das Ziel meiner Reise-  und Erlebnissehnsucht war ursprünglich gar nicht der hohe Norden  gewesen. In unserer Bubenzeit übte eigentlich Afrika, der schwarze  Kontinent, den größten Anreiz auf unsere Abenteuerlust und unser Fernweh  aus. Ausgelöst wurde dies vor allem durch ein schön gestaltetes Album,  das man für damals beachtliche 2,- DM  erwerben und in das man genau 100  wunderschön bunte Bilder einkleben konnte, die es beim Kauf einer bestimmten Margarinesorte im Lebensmittelgeschäft gratis dazu gab. Am meisten gefragt dabei waren bei uns natürlich die Tierbilder mit Darstellungen von Löwen, Elefanten, Giraffen usw. „Safari in Afrika“ –  das war damals unser aller unerreichbarer und unerfüllbarer Traum.
Im Laufe der Jahre jedoch  verlagerten sich meine Traumziele immer mehr in den Norden unserer  Erde. Immer stärker wurde für mich die Faszination, die von der dortigen  Fauna und Flora ausgeht, vielleicht deshalb, weil sie der heimischen  ähnlicher und verwandter ist, nur eben halt viel großartiger und gewaltiger, vielfältiger und schöner, dazu ursprünglicher und unverdorbener, mit  Tierarten, die bei uns zwar auch einst heimisch waren, aber längst ausgerottet und ausgestorben sind. Besonders Bär und Elch hatten und haben es mir angetan. War es früher mehr der Grizzly gewesen,  der aufgrund seiner majestätischen Größe, seiner unglaublichen Kraft  und Schnelligkeit und seiner Unbezwingbarkeit ganz oben auf der Liste  meiner Lieblingstiere stand, so verdrängte ihn immer mehr der Elch als  Sinnbild von Majestät, Souveränität und Stärke. Welch einen herrlichen Anblick bietet doch solch ein Elchbulle, wenn er seinen massigen, schwarz-blau-braun gefärbten Körper auf weißschimmernden Läufen etwas  staksig, aber doch mit großer Trittsicherheit durch das Unterholz bewegt oder den mächtigen, mit einem weitausladenden Schaufelgeweih  ausgestatteten Schädel mit der charakteristischen, scheinbar etwas zu  lang geratenen Nasenschnauze und dem voluminös vom Unterkiefer  herabhängenden Zottelsack bedächtig zum Wasserschöpfen neigt – in der  Tat: der König der Wälder!

So oder so ähnlich habe ich ihn auch immer  wieder in einer Vielzahl von Aquarellen und Pastellkreidezeichnungen  darzustellen versucht. Beide Tiere, sowohl Elch  als auch Bär, schienen mir für den Überlebenskampf in der nördlichen  Wildnis am besten ausgestattet und geeignet. Vielleicht stammt meine  Vorliebe für den Norden und seine Bewohner ja gerade auch daher, dass  mich der Überlebenskampf von Mensch und Tier unter den harten, arktischen Bedingungen so faszinierte, und vielleicht auch, weil diese  Landschaft den am besten passenden Rahmen für ein von mir insgeheim ersehntes Waldläuferleben abzugeben vermag.
Ganz sicher spielte dann in späteren Jahren auch die Fischerei eine Rolle. Unter all den Tieren, mit denen ich während meiner Kinder- und Jugendzeit Kontakt hatte, kamen Fische nur selten vor. Wir fingen zwar ab und zu in Bächen und Gräben Stichlinge und in jedem Frühjahr die Schleien, die bei uns aus dem Mühlenteich über das Wehr in den für sie viel zu flachen Bach gelangten, so dass wir sie leicht mit der Hand „grapschen“ konnten, um sie anschließend aber wieder in den Teich zurückzusetzen. Ansonsten aber hatten wir kaum Berührungspunkte mit den Geschuppten. Große, fischreiche Gewässer gab es in unserer Umgebung nicht, und für Aquarienhaltung hatten wir weder das nötige Geld noch das Interesse. So richtig geweckt wurde das Interesse für Fische in mir erst, als ich viele Jahre später, bereits als Erwachsener, zum Angeln kam. Zwar hatte mich schon immer das Bild des Mannes beeindruckt, der am Wasser stehend oder sitzend, versucht, mittels Rute, Schnur, Schwimmer, Haken und Köder die Ungewissheit unter Wasser zur Gewissheit über Wasser zu machen. Für mich persönlich sah ich aber nie eine wirkliche Möglichkeit dazu. Ich wusste nicht wie, wo und womit ich angeln sollte, bis mich dann erfahrene Zunftkollegen doch in das Handwerk der Fischwaid einführten.
Zunächst an Baggerseen und künstlich  angelegten Teichen, dann an natürlichen Gewässern wie Seen und Flüssen übte ich im Laufe der Zeit die Angelei mit all den bei uns  gebräuchlichen Methoden aus, wobei mir das Spinnfischen die liebste davon wurde, bewegt man sich doch dabei frei am Fluss entlang, ohne großen Ballast mit sich zu schleppen, nur mit der Rute und den allernötigsten Utensilien bewaffnet, von einer guten Stelle zur anderen, hat es dabei ausschließlich auf die Räuber unter den Fischen abgesehen und kann sich  dazu noch einer interessanten und anspruchsvolleren Angeltechnik erfreuen.
Von der Hochschätzung des  Spinnfischens bis hin zum Verlieben ins Fliegenfischen war es dann nicht  mehr weit – und heute, nach über zehn Jahren des Lernens und Liebgewinnens, des Leidens und Verzweifelns, des Erfolges und der Rückschritte, des immer wieder neu und weiteren Lernens und Dazugewinnens bin ich  dieser Leidenschaft, besonders der des Trockenfliegenfischens, einfach  rest- und hoffnungslos verfallen. Daher ist es  einleuchtend, dass ein Traumland für mich nur da liegen konnte, wo es  die Möglichkeit gab, dieser Passion ausgiebig und erfolgversprechend zu frönen. In der Addition mit den anderen, oben erwähnten Kriterien, die für die Auswahl meines  Traumzieles entscheidend waren, hieß dieses Land für mich zunächst stets  „Alaska“. Hier glaubte ich, all das vereint vorfinden zu können, was ich schon immer gesucht habe, und an dem mein Herz bis heute hängt:  wilde, ursprüngliche Landschaft, großartige Tierbeobachtungen,  traumhaftes Fliegenfischen, Weite und Lebensraum. Dass ein solches  Traumland nicht nur in Alaska, sondern gerade und erst recht im Yukon zu  finden ist, erfuhr ich erst bei intensiver Vorbereitung mit Hilfe von Literatur, Videos und Gesprächen mit entsprechenden Reiseveranstaltern.  Das Ergebnis am Ende war, dass ich mit Sicherheit wusste: hier war und  ist „mein“ Land, „meine“ Tierwelt, „mein“ Fischerparadies: der Yukon!
Wenn man – so wie ich – gleichsam in einem Atemzug von Tierliebe und Fischfang spricht, muss man sich zwangsläufig die Frage gefallen lassen, wie das beides zusammenpasst und welches Verhältnis man tatsächlich zu den Tieren hat.
„Die Rehe, das Pferd, der große Adler – sind unsere Brüder. Der weiße Mann muss die Tiere behandeln wie sine Brüder. Ich bin ein Wilder und verstehe es nicht anders. Ich habe tausend verottende Büffel gesehen, vom weißen Mann zurückgelassen – erschossen aus einem vorrüberfahrenden Zug. Ich bin ein Wilder und kann nicht verstehen, wie das qualmende Eisenpferd wichtiger sein soll als der Büffel, den wir nur töten, um am Leben zu bleiben. Was immer den Tieren geschieht, geschieht auch bald den Menschen.“ (Häuptling Seattle)
Bewunderungswürdig, schlichtweg  bewunderungswürdig ist meiner Ansicht nach eine solche Haltung und  Einstellung gegenüber der Natur und den Tieren. Welch ein Schöpfungsbild, welch tiefe Einsicht in die Zusammenhänge des Lebens spricht aus solchen Worten! Anders als in den alttestamentlichen  Schöpfungsberichten wird der Mensch hier nicht von vorneherein als der  verstanden, der über die Tiere herrschen soll, sondern wird als Bruder und Schwester gesehen,  als gleich geschöpflicher, gleich  lebensberechtigter Partner und Teil, hineingehörend in den großen Rahmen all des Geschaffenen, dabei wohl wissend, was dem Bruder und der Schwester  geschieht, geschieht auch ihm, betrifft auch ihn unmittelbar.
Gleichwohl jagt der Indianer Tiere, tötet seine Brüder und Schwestern. Er tut es mit vollem  Bewusstsein, den Schmerz um ihren Tod, die dadurch entstandene Lücke sehr wohl empfindend, und das dabei von ihnen dargebrachte Opfer ehrend und würdigend. Er tut es, weil er es zu seinem Leben und Überleben braucht.  Er weiß, es geht nicht anders. Deshalb bittet er auch das zu jagende Tier vorher und das erlegte hinterher um Verzeihung. Viele Riten und  Kulte der sogenannten „first nation people“ erzählen davon. Er schätzt  und achtet das Tier vor und nach der Jagd und lässt darum auch nichts von dem notwendigerweise getöteten Wild achtlos zurück, sondern  gebraucht alles, das Fleisch, die Innereien, das Fell, die Knochen und  Sehnen, sei es für seine Ernährung oder zur Herstellung von Kleidung,  Zelten, Decken, Waffen und Gerätschaften. Auch wenn der Naturmensch das Tier verfolgt und tötet, bewahrt er sich ein liebevolles, familiäres, ja  fast religiös scheues Verhältnis zu ihm. Häuptling Seatlle, dessen  Gedankengut und Gefühlswelt ich hier wieder- und weitergebe, bezeichnet  sich selbst trotz solch edler Gesinnung in aller Bescheidenheit als Wilder, der nichts versteht. Wie steht es da mit uns, die wir  ja keine Wilden sind und sein wollen, sondern die wir uns für aufgeklärte,  gebildete, hochtechnisierte und hochzivilisierte Menschen halten?!  Nehmen auch wir noch solch eine ehrfürchtige und verantwortungsvolle  Haltung  dem Tier gegenüber ein?! – Als ein schwaches, weil mehr oder  minder formal gewordenes Relikt aus Zeiten solchen Denkens könnte man  heute noch den Jägerbrauch der sogenannten „letzten Äsung“ werten, die dem erlegten Wild als letzte Ehre einen letzten, grünen Bissen in den Fang steckt, obwohl hier ja die absolute Notwendigkeit des Tötens  von vorneherein nicht gegeben ist.
Im Allgemeinen aber ist unser Verhältnis  zum Tier doch wohl eher als gestört, entfremdet, wenn nicht sogar als pervertiert anzusehen. „Wieso“, wird man mir entgegenhalten,„lieben und  füttern wir unsere tierischen Lieblinge etwa nicht mit großer Hingabe und  Leidenschaft?!“ – Oh ja, das ist sicher richtig. Wir unterstützen dabei  einen riesigen Zweig der Industrie und geben für die Ernährung und  Gesundheit unserer Schoßtiere weit mehr aus, als wir je für Menschen in  Hunger -, Not- und Katastrophengebieten aufwenden würden. Wir lieben unsere  Tiere, vor allem da, wo wir sie im Griff haben, und sie sich so  verhalten, wie wir es wünschen. Wir haben sie am liebsten dort, wo sie  unserer Meinung nach hingehören: auf dem Schoß, im Käfig, in ihrer Box, in dem Bezirk, den wir ihnen zuteilen in Haus und Garten. Wir lieben unsere Tiere, halten sie aber auch gerne auf Distanz, sehen sie am  liebsten im Zoo, im Wildreservat und im Tierfilm. Tiere dagegen, die  sich unserer Kontrolle entziehen und plötzlich und unerwartet  auftauchen, wo wir sie nicht vermuten, flößen uns eher Angst und  Schrecken ein, so wie etwa Spinnen und Mäuse, ganz zu schweigen von  Ratten und Schlangen.
In der Kino- und  TV-Unterhaltungsbranche haben Tiere seit langem ihren festen Platz: zum  einen als niedlich vermenschlichte Märchen- und Fabelwesen oder als unberechenbare, grausam blutrünstige Monster. Und unsere Kinder, für die  Kühe mittlerweile selbstverständlich lila sind und für die die Milch aus der Fabrik kommt, kennen all die Namen dieser TV-Tierhelden, während  ihnen die Namen der einheimischen Singvogelwelt eher wie Fremdwörter vorkommen. Bei uns begegnet eine oft weit über das Maß hinaus schießende  und deshalb auch mit recht zu hinterfragende Tierliebe einer  erschreckenden Gleichgültigkeit, wenn es z.B. um unsere Lebens- und  Essgewohnheiten, um unsere Gesunderhaltung oder um unseren  immensen Fleischkonsum geht. So werden Tierversuche für die Pharma- und  Kosmetikindustrie, Massentierhaltung, quälende Schlachttiertransporte, die fast uneingeschränkte Schleppnetzfischerei sowie Massentiertötungen bei  Verdacht auf Seuchen und Krankheiten, wie BSE und MSK , nahezu  stillschweigend hingenommen. Das Gefühl, durch Massenproduktion und  weltweiten Handel vor Mangel und Hunger nachhaltig geschützt zu sein,  hat unser Empfinden hierfür weitgehend abgestumpft. Natürlich tun wir auch sehr viel für Natur- und Umweltschutz, weisen Schutz- und Schongebiete  für bedrohte Biotope, Schonzeiten und -maße, Jagd- und Fangbegrenzungen für bestimmte Tierarten aus, weil viele von uns mittlerweile eine Ahnung  davon bekommen haben, wie notwendig das ökologische Gleichgewicht nicht  nur für das Überleben von Fauna und Flora sondern auch der eigenen  Spezies geworden ist.
Dass Tiere dem Menschen  zu nutze sein, dass die Natur von ihm gebraucht werden muss, steht außer  Frage. Doch, wo liegt die Grenze zwischen Brauchen und Verbrauchen,  zwischen Nutzen und Ausnutzen, zwischen notwendigem Nehmen und  raffgieriger Ausbeutung der Natur, ihrer Resoursen und ihrer Lebewesen? Wann und wo fing das eigentlich alles an?! Wann wurde der erste Schritt  getan vom lebensnotwendigen, weil lebenserhaltenden Gebrauch hin zum  eigentlich unnötigen, weil nur noch dem Profit verschriebenen Missbrauch  der Natur?
Es begann, so denke ich,  eigentlich schon mit dem Trapperwesen. Denn anders als die Indianer fingen und töteten Trapper Pelztiere nicht mehr nur, weil deren Fell und Fleisch ihr Leben unmittelbar absicherten, sondern weil sie durch den Verkauf  ihrer Felle einen Überschuss erzielen konnten, der ihnen die Beschaffung  dessen ermöglichte, was sie sonst zur Erhaltung ihres Lebens für  erforderlich hielten: andere Lebensmittel, neue Fallen, Waffen,  Munition, Genussmittel und dergleichen. Die Tiere, die sie töteten,  waren also nicht mehr unmittelbare, sondern nur noch mittelbare Garanten ihres Überlebens und oft darüber hinaus  eines, wenn auch meist  nur bescheidenen Reichtums. Vollends in den Dienst der Kapital- und  Profitgewinnung gestellt wurde das Trapperwesen dann mit der Gründung der  großen Pelzhandelsgesellschaften. Was am Ende einer solchen Entwicklung stand und steht, zumal wenn sie sich mit menschlichem Übermut und Unverstand  paart, das hat Häuptling Seattle bereits im vergangenen Jahrhundert  vorausgesehen und vorausgesagt.
„Wenn die Büffel alle  geschlachtet sind, die wilden Pferde gezähmt, die heimlichen Winkel des  Waldes schwer vom Geruch vieler Menschen und der Anblick reifer Hügel  geschändet von redenden Drähten, – wo ist das Dickicht – fort; wo der  Adler – fort, und was bedeutet es, Lebewohl zu sagen dem schnellen Pony  und der Jagd: das Ende des Lebens und der Beginn des Überlebens.“
Gemeint hat er damit: richtiges, volles, gesundes Leben wird dann nicht mehr möglich sein, nur noch das nackte, irgendwie Überleben, aber ohne dessen früherer Bedeutung und Fülle, ohne seinen ehemaligen Reichtum und Glanz, denn, so fährt Seattle fort,
„…was gibt es schon  im Leben, wenn man nicht den einsamen Schrei des Ziegenmelkers hören  kann, oder das Gestreite der Frösche am Teich bei Nacht?… Die Luft ist  kostbar für den roten Mann, denn alle Dinge teilen denselben Atem – das  Tier, der Baum, der Mensch – sie alle teilen denselben Atem. – Der  weiße Mann scheint die Luft, die er atmet, nicht zu bemerken, wie ein  Mann, der seit vielen Tagen stirbt, ist er abgestumpft gegenüber dem  Gestank…. Fahret fort Euer Bett zu verseuchen, und eines Nachts werdet  Ihr im eigenen Abfall ersticken.“ 
Hat der kluge  Indianerführer mit seinen vorausblickenden Worten aus einem längst  vergangenen Jahrhundert nicht in nahezu furchteinflößender Weise Recht  behalten?! Doch zurück aus der Vergangenheit und hinein in die so  kassandrisch vorhergesehene Zukunft, die ja nichts anderes ist als unsere längst wahrgewordene Gegenwart!  Zurück auch aus  gesellschaftlichen und globalen Vorwürfen und Schuldzuweisungen im  Allgemeinen und hinein in meine eigene, ganz persönliche Verantwortung,  in mein eigenes ganz persönliches Verhalten der Natur und den Tieren  gegenüber, gerade als Angler und Fliegenfischer, und damit hin zu der Gretchenfrage: Wie hältst du es denn selbst mit der berühmten „Ehrfurcht  vor dem Leben“? ! – In meinen frühen Anglerjahren, so muss ich offen  gestehen, hatte ich recht wenig Verständnis für solche Bedenken und  schob sie einfach beiseite. Das Fischen mit Wurm, Made und Köderfisch  stand für mich, weil erfolgreich, außerhalb jeder Diskussion. Im Laufe der Jahre  allerdings wurde ich sensibler ,auch jenen oft so unscheinbaren Geschöpfen gegenüber, und stieg um auf Mais- oder Teigköder. Zuletzt fischte  ich nur noch mit Kunst- und Spinnködern. Sie waren leichter  bereitzuhalten, angenehmer zu handhaben, und eigentlich nur auf  die Fische einzusetzen, die als Räuber selbst auf sie hereinfallen wollten. Wenn Raubfische sie dann attackierten, war es eben deren eigene Schuld, weil sie ja selbst darauf aus waren, Beute machen zu wollen. So dachte ich. Räuber zu überlisten, das schien mir moralisch vertretbarer, als harmlose  Friedfische hereinzulegen. Was für eine blödsinnige Logik und  Rechtfertigungsweise!
Beim Fliegenfischen  endlich angelangt, glaubte ich, jetzt die endgültig reine und moralisch absolut unbedenkliche Art des Fischens gefunden zu haben, fischte ich hier doch schon sehr bald widerhakenlos und dem Grundsatz „catch and  release“ folgend. Hatte ich in früheren Tagen immer Beute machen müssen, um mir und anderen meine Erfolge zu beweisen, war ich mittlerweile  längst zu der Erkenntnis gelangt, dass Fische nicht dazu da sind um zu zeigen, welch toller und erfolgreicher Kerl ich war.
Heute ist es mir eine  selbstverständliche Freude, Fische, mit nur ganz wenigen Ausnahmen, wieder in die Freiheit zu entlassen. Ich esse selbst gerne Fisch und bereite auch Freunden gerne eine schmackhafte Mahlzeit daraus zu.  Trotzdem muss ich längst nicht jeden maßigen Fisch seinem Element entreißen und ihm den Garaus machen. Die Möglichkeit des „catch and  release“ befreit mich davon, und sie ist es auch, die unsere Passion von  der Jagd unterscheidet. Hat ein Jäger erst einmal den Finger „krumm“  gemacht, gibt es kein Zurück und meist kein Entrinnen mehr für sein Wild. Er muss töten, um seinen Jagdtrieb völlig zu befriedigen. Das ist  übrigens auch der Grund dafür, warum ich mich nie ernstlich für die  Jägerei interessiert habe. Gerne bin ich Jagdeinladungen gefolgt, weil sie mich immer zu einem nahem Anblick des ersehnten Wildes führen konnten. Auch fieberte ich voller Leidenschaft mit, ob das vorher angesprochene Stück auch wirklich kam  und gut zum Abschuss stand, aber dann im Augenblick des Knallens und  Fallens fühlte ich meistens nur noch eine große Traurigkeit in mir. Wir Fischer haben es da  besser und leichter. Wir können den gefangenen Fisch zurücksetzen und –  wenn wir es verantwortungsvoll und behutsam tun, auch darauf hoffen, dass er dieses Abenteuer gut übersteht. Untersuchungen  gerade der allerjüngsten Zeit geben allerdings Anlass zu fragen, ob das auch bei aller Umsicht und Sorgfalt  wirklich immer gegeben ist. Ist das, was ich da mit „catch and release“ tue ,tatsächlich so unbedenklich, wie es zunächst erscheint. Wie wirkt sich solches Vorgehen auf das Schmerz-  und Stressempfinden des gehakten Fisches aus? Was bewirkt es im  Stoffwechsel seines Organismus? Hat er wirklich eine reelle Chance, die  Prozedur des Drills, der Entnahme, des Hakenlösens und Zurücksetzens langfristig gesehen zu überstehen und zu überleben? – Fragen über Fragen  tun sich hier auf, von denen wir keine hundertprozentig richtig zu beantworten vermögen, vor allem nicht die, ob ich als Mensch überhaupt  das Recht habe, dieses Tier, just for fun, nur zu meinem Vergnügen  also, dem allem auszusetzen und es in seiner Existenz zu gefährden. Ich  kann ja nicht wie Häuptling Seattle oder einer seiner Indianerbrüder  sagen: „Danke, Bruder Fisch, dass ich dich fangen durfte. Du erhältst  mich und meine Familie am Leben!“ Ich bin ja versorgt auch ohne ihn,  kann mich von anderem ernähren und bin nichtnotwendigerweise auf seinen Fang  angewiesen. Ich bin ja eigentlich nur dabei meiner Lust zu frönen. Die Frage ist: darf ich  das? Darf ich so in den Kreislauf des Lebens und der Natur eingreifen? Über eines bin ich mir hier völlig im klaren: wenn ich als  Angeltourist in der wundervollen Naturlandschaft des Yukon stehe, dann  gibt es weit und breit kein Lebewesen, das so unwichtig, so unwesentlich und so unangebracht in diesem Biotop ist wie ich. Diese Natur braucht  mich nicht. Ich habe weder eine Funktion, noch eine Bedeutung, noch  einen Sinn darin. Jedes kleinste Insekt ist mir hier an Bedeutung und Wichtigkeit voraus. Diese grandiose Landschaft wäre auch ohne mich genauso unfassbar schön, sicher sogar noch schöner! Das im Geheimen aufeinander abgestimmte Uhrwerk ihres Lebens liefe auch ohne mich präzise weiter, so wie schon Tausende und Abertausende von Jahren zuvor,  nur besser und ungestörter. Die Natur ist vollkommen, der Mensch kann  sie nicht verbessern, er kann sie höchstens verschlechtern!
Als was bin ich also  dort, und was habe ich hier zu suchen?! – Ich bin ein Gast, und als  solcher habe ich mich hier zu verhalten und zu bewegen. Ich bin ein Fremder, der wie jeder, der nur kurzzeitig in einem gut funktionierenden Haushalt weilt, darin keine wirkliche Funktion hat. Er darf nur schauen  und staunend zusehen, darf sich für den Augenblick vielleicht ein wenig  heimisch fühlen, darf aber nicht wirklich in das gewohnte Geschehen eingreifen oder gar Bestehendes umstoßen und so das vorhandene  Gleichgewicht stören. Und genauso, wie er gekommen ist, hat er dann auch  wieder „traceless“, ohne störende Spuren zu hinterlassen, zu gehen. In  der einzigartigen Naturlandschaft des Yukon kam ich mir stets vor wie  ein Zuschauer, der zufällig und unvermittelt in ein großes Orchester  geraten ist, ohne Instrument und Partitur, unfähig, auch nur einen  einzigen passenden Ton der gewaltigen Sinfonie hinzuzufügen, die da  gespielt wird. Mir blieb nur das ehrerbietige Bewundern und ungläubige  Staunen.
Natürlich versuchen auch wir Außenstehenden, uns in solch einem Land und solch einer Umgebung selbst eine Funktion zu geben, sind wir schließlich doch als Angeltouristen hier. Und so befleißigen wir uns, mittels Rute, Rolle, Schnur und Fliege in dieses wundervolle Gefüge einzudringen, um auf diese Weise etwa in die Rolle eines seiner Jäger oder Räuber hineinzuschlüpfen. Und doch wissen wir zugleich: wir sind das nicht tatsächlich, wir haben deren Aufgabe nicht wirklich, wir spielen ihre Rolle nur, weil wir sie uns selbst geben und anmaßen. – Und doch ist es schön, dieses Spiel zu spielen, ein wenig, wenn auch oft genug dilettantisch, mitzutun und auf diese Weise dem Konzert der Natur aktiv beizuwohnen.
Was bedeuten nun all diese Erkenntnisse und  Einsichten für meinen eigenen Umgang mit der Natur und ihren Kreaturen,  ganz konkret für meine eigene Angelpraxis?! – Im Grunde genommen dürfte  ich von daher nur noch Fischen, wenn eine unbedingte Notwendigkeit dazu  besteht. Das aber ist – wie gesehen – eigentlich für mich nie der Fall.  Selbst auf einem Tages- oder Mehrtagestrip in der Wildnis wäre sie nur  im äußersten Notfall gegeben. Das heißt, nüchtern betrachtet: ich habe  eigentlich gar kein Recht zu fischen! Dennoch ist da diese Passion,  diese unbändige Lust dazu, in mir! Und selbstverständlich will und werde  ich ihr auch weiterhin nachgehen und nachgeben. Wenn auch die Fische  ganz gewiss nicht dazu da sind, die Begierden von uns Anglern zu  befriedigen, so möchte ich mir doch die Lust am Werfen mit der  Fliegenrute, am Servieren der Fliege, am Überlisten und Fangen des  Schuppenwildes nicht nehmen lassen. Ich möchte sie sogar, wie das bei  uns modernen Menschen fast immer der Fall ist, noch intensivieren, sie  noch öfter und konzentrierter genießen. Deshalb reist man ja gerade zu  solch reinen, naturbelassenen und eben darum umso fischreicheren Gewässern, um dort die Freuden des Fischens viel unverfälschter und  weitaus gesteigerter zu erleben, als das in unseren Breiten möglich ist. Wie aber lässt sich  solche Genusssucht, zumal verbunden mit dem Wunsch, sie ins Optimale zu  steigern, ernstlich vereinbaren mit Tierliebe und – vor allem – mit den  vitalen Bedürfnissen der Fische?! – Durch bloßes „catch and release“ ist  dieses Problem, wie schon erwähnt, wohl nicht zu lösen, da bei noch so  vorsichtiger und schonender Umgangsweise Verletzungen, innere  Schädigungen oder andere Beeinträchtigungen der Gedrillten nicht immer  völlig auszuschließen sind.
Seit einiger Zeit  versuche ich mir deshalb vorzustellen, wie es wäre, an einem schönen,  steigfreudigen Angeltag etwa, an dem ich mein persönlich gesetztes  Fanglimit bereits erreicht hätte oder einfach keinen Fisch mehr  entnehmen wollte, nicht nur, wie gewohnt, widerhakenlos sondern vüllig ohne Haken zu fischen. Vielleicht klingt das absurd und ein wenig  verrückt, weil „Fischen ohne Haken“ ja wohl einen Widerspruch in sich  selbst darstellt. Aber wären die Abstriche, die ich dabei zu machen  hätte, wirklich so gravierend für mich? – Ein guter Teil dessen, was für  mich Fliegenfischen ausmacht und was ich daran so liebe, bliebe mir ja immer noch: der Aufenthalt in einer herrlichen, natürlichen Flusslandschaft, das Erkennen und Anpirschen erfolgversprechender Fischstandplätze, die Wahl der richtigen, fängigen Fliege, die Freude an der Technik des  Auswerfens und des möglichst punktgenauen Anbietens, die Spannung bei  der Abdrift der Fliege, den Adrenalinstoß beim Steigen des Fisches und dem Annahme-Schwall, das Frohgefühl beim ruckartigen, in diesem Falle  allerdings wohl nur sehr kurzen, Kontakt mit der anvisierten Beute. Hinzu käme die befriedigende Gewissheit, den zeitweiligen Kontrahenten ohne Schaden in seiner Freiheit belassen zu haben. Ich werde diese hakenlose Methode bei nächster Gelegenheit einfach einmal ausprobieren und bin gespannt, welche Eindrücke sie bei mir  hinterlassen wird.
Menschen spielten im Yukon-Gebiet gegenüber den Tieren schon immer eine nur untergeordnete Rolle. Die historische  Forschung geht von einer Erstbesiedlung vor etwa rund 30.000 Jahren v. Chr. aus, die sich wohl nicht von Norden her über die sogenannte „Beringia“, einer Landbrücke, die damals zwischen Asien und Amerika bestanden hat und die während einer zwischeneiszeitlichen Erwärmung durch das Ansteigen der Meere und die  dadurch bedingte Überflutung wieder verschwunden war, sondern sich von Süden her über die angrenzenden Prärie- und Waldgebiete volllzogen hat. Nomadisierende Wildtöter  drangen auf ihrer Suche nach neuen und reicheren Jagdgründen immer  weiter nach Norden vor und erreichten so Gegenden, die bislang ihrer  subarktischen Bedingungen wegen für längere Zeiten im Jahr als lebensfeindlich galten und deswegen noch unbesiedelt waren. Durch die  erstaunliche Anpassungsfähigkeit des homo sapiens, durch das Erlernen und Anwenden neuer Techniken wurde es schließlich einer durch strenge  und brutale Auslese abgehärteten Rasse möglich, auch jene einst unwirtlichen Gebiete zu bevölkern. Es waren Menschen, die es  verstanden, mit dem extremen Jahreskreislauf der gewaltigen Natur zu  leben und sich ihm anzupassen. Sie lernten, auf die Stimmen der Wildnis um sie herum zu hören, sie zu deuten und auf ihre Zeichen zu achten. Sie  entwickelten Fähigkeiten, Geräte, Werkzeuge, Kleidung, Behausungen, Vorratswirtschaft und den Einsatz des Feuers, so dass ein Überleben auch  in den kalten, eigentlich lebensfeindlichen Jahreszeiten gewährleistet  war. Dabei entstand eine Lebensweise, die Natur und Tiere sehr wohl  nutzte und benutzte, nie aber ausplünderte und zerstörte. Sie wussten:  Vernichten wir die Quellen des Lebens, so vernichten wir uns selbst! –  Es war nicht zuletzt ihr reicher Schatz an Erfahrung und Wissen, der sie  am Leben erhielt.  
Und schon immer gab es dabei Einzelne, Gestalten, Individuen, bei denen solches Wissen und solche Fähigkeiten weiter, ausgeprägter, intensiver und verfeinerter entwickelt waren als bei anderen, die deshalb aus der Menge der anderen herausragten, und – so wie Chief Seattle – mehr Überblick, Reichweite und Weitsicht besaßen: „Führer“, „Häuptlinge“, „Schamanen“, „Priester“, „Heiler“ nannte man sie. Übernatürliche Kräfte schrieb man ihnen zu, weil sie Dinge voraussehen und voraussagen konnten, die andere nicht erkannten, und weil sie in der Lage waren, körperliche und seelische Wunden und Krankheiten zu verbinden und zu heilen. Oft lag ihre Besonderheit nur in der Fähigkeit, die Zusammenhänge der Naturphänomene klarer zu erkennen, konsequentere Schlüsse daraus zu ziehen und Erfahrungen besser zu nutzen. Gewisse Heilungskräfte mögen sich damit gepaart haben. All das genügte, um ihnen eine von den normalen Menschen abgehobene Position einzuräumen und sie als Vermittler und Deuter sowohl der real vorfindbaren Wirklichkeit als auch einer daneben und darüber existierenden geistigen Welt anzusehen. Von ihrer Führung und Leitung, von ihrem Wissen und Können versprach man sich den Erhalt des eigenen Lebens ebenso wie das Überleben des ganzen Stammes. Man gestand ihnen deshalb gerne Entscheidungsgewalt, Machtausübung und Privilegien zu. Der verantwortungsvolle Stammes- oder Sippenführer wusste dabei, dass er seine Macht und Vorrechte ausschließlich zum Wohl der ihm Anvertrauten ausüben und gebrauchen durfte. „Herrschen“ bedeutete für ihn in erster Linie „verantwortlich zu sein“, dafür Sorge zu tragen, dass das Leben seiner ihm anbefohlenen Untertanen geschützt und bewahrt bleiben, ihr Überleben gesichert und mit Sinn, Glück und Geborgenheit bereichert werden konnte. Diese Verantwortlichkeit und Fürsorge zeichnete schon zur Zeit des biblischen Alten Testamentes den guten, gerechten König, den sogenannten „melech“, aus und unterschied ihn deutlich vom „moloch“, dem schlechten König, der die ihm wegen seiner überlegenen Fähigkeiten oder auch nur aufgrund ererbter Rechte zugestandenen Vorzüge und Machtbefugnisse wie einen Raub nur für sich selbst ansah und sie lediglich zum eigenen Vorteil und dem seiner eigenen, ihm hörigen Gefolgschaft ausnutzte. So wurde aus dem verantwortungsvollen Führer der eigennützige und selbstsüchtige Verführer des Volkes. Mit großsprecherischen Worten und verheißungsvollen Versprechungen, mit beeindruckenden Gesten und publikumswirksamen Gebärden mobilisiert er die Massen und bringt sie auf Wege, an deren Ende nicht das Heil aller, sondern nur die Verwirklichung seiner eigenen Ziele und Interessen steht, Leid und Untergang der Menge dabei notfalls wohlkalkuliert einberechnend und billigend in Kauf nehmend. Auch diesen Typus des Verführers hat es schon immer gegeben. Besonders im gerade vergangenen Jahrhundert führte die Agitation solcher Machthaber zu den schrecklichsten Auswüchsen der Menschheit, wie die Kriege und Völkermorde dieser Epoche gezeigt haben. Dass es damit aber noch immer nicht zu Ende ist, beweisen die Rassenkonflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen der jüngsten Vergangenheit bis in unsere Tage hinein. Und angesichts der raffinierten Produktwerbung unserer Tage kann die Frage, welchen Einfluss und Anteil an Führung und Verführung unsere heutige Konsum- und Genussgesellschaft auf uns alle ausübt, kann wohl jeder von uns mit einem Blick in die modernen Medien selbst beantworten.

Wir sind hier bei dem Phänomen des „Bösen“  angelangt. Der Verführer, der seine Macht rücksichtslos zu seinen  Gunsten missbraucht, der bedenkenlos mit den Ängsten und Sehnsüchten  seiner Untergebenen spielt, der gnadenlos selbst die unvorstellbarsten  Leiden und Opfer von ihnen verlangt, ist für uns zum Inbegriff und zur  Verkörperung des „Bösen“ geworden, und ich bin davon überzeugt, dass das  „Böse“ eine ureigenst menschliche Angelegenheit und Erfindung ist. Das Tier kennt das „Böse“  nicht, denn es hat weder Bewusstsein noch Gewissen. Das Tier kann nicht  ausbrechen aus seiner ihm vorgegebenen Bahn, es kann nur verwirklichen, was in ihm angelegt ist. Es befindet sich im Zustand naiver,  natürlicher Unschuld. Auch der Bär, der in für uns vielleicht grausamer Weise ein junges Elchkalb reißt, lebt und bleibt in unschuldiger Einheit mit den ewigen, göttlichen Gesetzen der Schöpfung, denn er tut dies nur im Dienste seiner Arterhaltung und nicht aus Rache, Mordlust oder  Heimtücke oder gar nur, um seine Stärke und Überlegenheit zu beweisen. Er kann  nicht ausbrechen aus der Rolle, die Mutter Natur ihm zugeschrieben hat. Er ist und bleibt Tier und kann nicht zum „Untier“ werden, auch wenn uns  noch so viele Tier-Monsterfilme vom Gegenteil überzeugen möchten.  Es  bleibt dabei: nur der Mensch kann ausbrechen aus der ihm von der Natur gegebenen Rolle. Nur er bringt es kraft seines Wissens um Gut und Böse,  kraft auch seiner Freiheit, sich so oder anders zu entscheiden, fertig,  vom Menschen zum „Unmenschen“ zu werden und all das zu tun, was gegen alle Logik und Vernunft, gegen Güte und Mitgefühl und nur zum Schaden  seiner Mitmenschen, seiner Umwelt und schließlich seiner selbst dient. Natürlich kann der Mensch  seine eigenen bösen Absichten und Verhaltensweisen auch dem Tier antrainieren. Denken wir nur an die Abrichtung von Kampfhunden etwa, deren Anlage zu Kampf- und Angriffslust er steigern und für seine Zwecke  missbrauchen kann. Dennoch ist es ihm nicht möglich, das eigene böse  Ich der Kreatur wirklich einzuverleiben, da ja auch der aggressivste  Kampfhund im Grunde genommen nur das tut, was natürlicherweise in ihm angelegt ist, in diesem Falle nämlich seinem Alpha-Tier zu gehorchen und  es als seinen Rudelführer zu beschützen, und nicht etwa seinen eigenen Aggressionstrieb auszuleben. So ist in jedem Falle das Böse, das wir  Menschen in einem Tier und seinem Verhalten sehen, etwas, das von uns  selbst in es hineingelegt und hineininterpretiert wird.

Auf die Rolle, die der sogenannte „Weiße  Mann“ bei der Besiedlung des Yukon-Gebietes gespielt hat, möchte ich  hier nicht näher eingehen. Allzu rühmlich ist dieses Kapitel – wie die  Geschichte gezeigt hat – ja nicht, war es doch neben den Segnungen, die es in Form von Fortschritt und den Errungenschaften der modernen Zivilisation brachte, auch verbunden mit neu eingeschleppten, vorher unbekannten und deshalb nur schwer zu heilenden Krankheiten, der  Verbreitung des Alkoholismus, der Plünderung der Bodenschätze und den daraus resultierenden Umweltbelastungen, der Beschneidung von Würde und  Rechten der Ureinwohner, und dem zweifelhaften Ersetzen ihrer Selbständigkeit und natürlichen Religiosität durch gewaltsame Zwangsmissionierung und unserem Konsum- Anspruchs- und Versorgungsdenken.  Dazu Häuptling Seattle schon 1855 in vergleichbarer Lage:
„Unsere  Kinder sehen ihre Väter gedemütigt und besiegt. Unsere Krieger wurden  beschämt. Nach Niederlagen verbringen sie ihre Tage müßig – vergiften  ihren Körper mit süßer Speise und starkem Trunk.“
Durch die Anerkennung  ihrer ursprünglichen Rechte und deren Aufnahme in die neue kanadische  Verfassung von 1982 ist das Selbstbewusstsein der „first nation people“ in den letzten Jahren wieder gewachsen. Selbstverwaltung, Rückbesinnung  auf alte Traditionen und überlieferte Fertigkeiten geben Zeugnis davon. Die Rolle, die der „Weiße  Mann“ heute in solchen Gegenden, wie dem Yukon, spielen könnte und  sollte, müsste mit Entschiedenheit darin bestehen, diese Menschen in ihrer Rück- und Selbstbesinnung auf ihre traditionellen Werte, auf ihre  angeborene Ehrfurcht vor dem Leben und ihre ganzheitliche und  geschwisterliche Sichtweise der Natur und ihrer Geschöpfe zu bestärken  und zu unterstützen, dabei sich selbst jene Denkweise zu eigen zu machen, und  zusammen mit ihnen alles in seiner Kraft stehende zu tun, diese immer  noch nahezu paradiesischen Lebensräume für sie, ihre Kinder und für die  ganze Menschheit zu erhalten und zu bewahren.
Das einfache Leben , um es vorwegzunehmen und zugleich deutlich zu sagen, das einfache Leben ist uns heutigen Menschen nicht mehr möglich. Es ist eine Fiktion, ein Wunsch, ein Traum, wenn auch ein wunderschöner! Was aber ist das eigentlich, das „einfache Leben“? Unser Dasein in der heutigen Zivilisation ist kompliziert und komplex geworden. Wir besitzen unendlich viele Dinge und werden zugleich von unheimlich vielen Dingen in Besitz genommen. Die Alltagswelt eines Jeden von uns ist angefüllt mit unzähligen Gegenständen, kleinen und großen Besitztümern, die er braucht oder von denen er glaubt, sie brauchen zu müssen. Wir klammern uns an die Dinge, die wir haben, nicht zuletzt an das Geld, halten alles angstvoll fest und meinen, dadurch gehalten zu sein. Aber im Grunde genommen ist es umgekehrt: nicht wir haben die Dinge, sondern die Dinge haben uns! Wir sind der Überzeugung, dass wir über das Materielle herrschen und es uns von Sorgen und Not frei macht, dabei schleppen wir es als Last und Ballast mit uns herum und dienen ihm und seinen Gesetzmäßigkeiten.
Zitat von Lindolfo Weingärtner:
„Du klammerst dich an Dinge, die du hast, hältst angstvoll fest und glaubst, du wirst gehalten: Die Dinge haben dich – du schleppst die Last; du meinst, du herrschst – und fronest den Gewalten! Lass los, o Mensch, lass los, bevor der Tod dir schließlich aufbricht die verkrampften Hände! Gib dem Erlöser Raum! – Lös fremde Not! Erlöstes bleibt! – Das Machwerk geht zu Ende!“
 
In  unsere Welt dringt heutzutage eine Fülle von Nachrichten und Informationen, die wir gar nicht verkraften, ein Überangebot von Unterhaltungs- und Lebensmöglichkeiten, das wir gar nicht ausschöpfen können. So haben wir permanent das Gefühl, etwas zu verpassen, stets  hinter etwas herlaufen zu müssen. Es liegt auf der Hand, dass Glück und Sinn des Lebens auf diese Weise nicht zu finden sind. Der ständige  Stress unserer Tage, der wachsende Ekel vor den zunehmenden  Zivilisationsschäden und die sich langsam einstellende Erkenntnis, dass wir auf dem so eingeschlagenen Weg nicht zufriedener, sondern immer unzufriedener werden, lässt in uns den Wunsch nach einem besseren, sinnvolleren und glücklicheren Leben aufkommen, einem Leben, das gerade  nicht von einem Mehr an Dingen und Möglichkeiten, sondern von einem  diesbezüglich Weniger bestimmt ist, das gerade aber so ein Mehr an Inhalt, Sinn und Geborgenheit verspricht.
Um von der Theorie in die  Praxis zu wechseln und diese Gedanken anschaulicher und greifbarer zu  machen, möchte ich versuchen, ein Bild davon zu malen, wie ein solches, einfaches Leben für mich  aussehen könnte. Da es sich hierbei, wie gesagt, nur um einen Traum, eine Vision handelt oder notgedrungen handeln muss, darf ich bei seiner Ausmalung auf so wesentliche, reale  Dinge und Voraussetzungen wie finanzielle Absicherung, das Erlangen der  gesetzlichen Genehmigungen und Bewilligungen, die Frage, ob ich den  technischen und fachlichen Erfordernissen, den körperlichen und  seelischen Ansprüchen sowie den klimatischen Herausforderungen eines  solchen Unternehmens überhaupt entsprechen und ihnen auf Dauer tatsächlich gewachsen sein könnte, einfach verzichten und meinen Vorstellungen von einem solcherart freien Leben ungehindert freien Lauf lassen:
Am erhöhten Ufer des  Dream-Lake steht zwischen dem Seeauslauf und der Mündung eines  No-name-Baches hochwassersicher ein Cabin, weit genug entfernt von allen  Störungen der Zivilisation, jedoch nahe genug gelegen, um notfalls deren Segnungen und Hilfen in Anspruch nehmen zu können. Das kleine, aus massiven Holzstämmen zusammengefügte Blockhaus schmiegt sich in einer  Waldlichtung unauffällig an den es umgebenden Wald aus nordischen Fichten an. Von einer Anhöhe geht der Blick weit über den von bewaldeten Berghängen begrenzten See, an dessen kiesigem Ufer ein zuverlässiges Kanu vertäut liegt. Die niedrige Blockhütte selbst ist ausgestattet und eingerichtet mit allem, was der Mensch zur Befriedigung seiner täglichen Bedürfnisse und zum Überleben in der Wildnis braucht. Auch ist die Möglichkeit zur Verbindung mit der Außenwelt gegeben. Die gesamte Einrichtung ist auf  Zweckmäßigkeit ausgerichtet, jeder unnötige Schnickschnack fehlt. Hier bin ich eingezogen  mit Jagdausrüstung, Angelgerät, Mal- und Schreibutensilien, meinen  liebsten Fach- und Unterhaltungsbüchern sowie den Lebens- und  Überlebensmitteln, welche die Natur mir nicht zu bieten vermag. Hier  will ich nun leben, will ich wirklich das Leben leben, hier will ich  einfach „sein“. Hier sollen Hektik, Unrast, Sorgen, Probleme, Schwierigkeiten und Ängste des Zivilisationslebens von mir abfallen, und  stattdessen Selbstbewusstsein, Sicherheit und Unabhängigkeit in mir wachsen. Hier möchte ich im Verzichten auf alles Überflüssige das  Wesentliche wieder gewinnen. Hier will ich äußerlich ärmer, dadurch  aber innerlich reicher werden. Hier will ich zur Ruhe kommen, zu mir selbst finden, eins werden mit mir selbst, mit meiner Umwelt, mit ihrem und  meinem Schöpfer. Hier will ich erfahren, ob Henry DavidThoreau  recht  hat, wenn er sagt: „In der Wildnis liegt die  Rettung der Welt. Von den Wäldern und von der Wildnis fließen die Kräfte und die Lebenselixiere, deren die Menschheit bedarf.“ Hier will ich die Stille des Sees genießen, die Majestät der Bergwelt bestaunen, will wie Erich Kästner „mit Bäumen wie mit Brüdern reden“ und sehen, wie die Jahreszeiten wechseln und die Natur sich verändert im Kreislauf des Jahres. Mein Tagesablauf wird  angefüllt sein mit Jagen, Fischen, Nachdenken, Malen, Lesen, Schreiben, Beeren- und Pilzesammeln, Natur- und Tierbeobachtungen, aber auch mit Wasserholen, Holzhacken, Haus- und Reparaturarbeiten,  Zubereitung der Mahlzeiten, Ruhen, Essen und Schlafen. Ich hätte nur für mich selbst zu sorgen und könnte mich ganz meinen Wünschen,  Bedürfnissen und Lieblingsbeschäftigungen widmen.
Welch beglückende,  paradiesische Vorstellung vom einfachen Leben, einem Leben in  Freiheit, Schönheit, Unschuld und Einklang mit der Natur! Bei allem  Reiz, der von dieser Vorstellung ausgeht und bei aller Begehrlichkeit, die sie erweckt, erhebt sich jedoch innerlich sogleich die Frage: Könnte und dürfte das sein? Schaffte ich das, und  führte es, auf Dauer gesehen, zum Glück, so allein zu leben?I Ist es  moralisch überhaupt vertretbar, ein solches, nur auf sich allein gestelltes und nur auf sich selbst bedachtes Leben zu führen?! Hier  stellen sich meiner Meinung nach doch erhebliche Zweifel und Bedenken  ein. Sehen wir einmal von geglückten, weil zeitlich begrenzten, Versuchen ab, aus dem normalen Alltag auszusteigen und ein Leben allein in Wildnis und Einsamkeit zu führen, so ergibt sich die erste Schwierigkeit, dies auf Dauer zu tun, schon aus der Tatsache, dass unser  menschliches Ich von Anfang an auf ein Du angelegt ist. Wir Menschen sind von Natur aus keine Einzelwesen, sondern brauchen ein uns  selbst entsprechendes Gegenüber. Davon berichtet schon der alte, biblische Schöpfungsmythos, wenn er dem erschaffenen Adam die weibliche  Entsprechung Eva gegenüberstellt und in beide zugleich das Verlangen  nach Vereinigung hineinpflanzt. Der Mensch, symbolisch dargestellt  durch Adam und Eva, erhält hier aber noch ein weiteres Gegenüber, ein Du, das nun nicht mehr nur seinesgleichen ist, sondern ihn wesensmäßig  übersteigt und dem gegenüber er verantwortlich ist, nämlich Gott, den Schöpfer, selbst. In diesem Sinne ist der Mensch geschaffen zum  Ebenbild Gottes, wie es in der Bibel heißt. Die Konsequenzen, die  sich daraus für das ersehnte, scheinbar so paradiesische einfache  Leben ergeben, lauten zum einen: ich kann nicht wirklich ohne den oder die anderen Menschen leben, ich brauche das Du, brauche ihr Gegenüber. Natürlich kann ein Einzelner rein physisch gesehen allein überleben, aber die  Frage ist, wozu? Für mich heißt das ganz praktisch: für wen schreibe  ich, für wen male ich? Nur für mich selbst? Nur um mich selbst  auszudrücken? Nur als Spiegelbild meiner eigenen Ideen und Eitelkeiten? Was bedeutet mir alles, wenn ich es nicht zeigen, nicht mitteilen, nicht  wirklich im wahrsten Sinne des Wortes mit anderen teilen kann? –  Landschaften, Tier- und Naturbeobachtungen, Angelabenteuer, gelungene  Bilder und Zeilen sind schön, aber noch schöner sind sie, wenn ich sie  mit jemand anderem gemeinsam sehen, erleben, betrachten und besprechen kann. Hier ist geteilte Freude wirklich doppelte Freude! Das ist das  Eine! Zum anderen stellt sich einem egoistisch nur auf das eigene Heil und Wohlergehen ausgerichteten Leben ja doch  auch die Gewissensfrage: Wie steht es denn mit deiner  Verantwortlichkeit gegenüber der Welt und dem Wohl deines Nächsten? Darfst du dich ihr einfach entziehen, ihr achselzuckend den Rücken  kehren, dir selbst das schöne einfache Leben gönnen und darüber all die Nöte, Probleme und Aufgaben unserer Welt vergessen, an deren Lösung  auch du mitarbeiten könntest? Kannst und darfst du wirklich die überall auf der Erde hilfesuchend ausgestreckten Hände tatenlos übersehen?“


Wir spüren: nein, so geht es nicht! Was  bleibt also zum Schluss? Bleibt jetzt nur die Erkenntnis, das  einfache Leben muss uns verwehrt bleiben, weil wir nicht mehr hinter die Gewohnheiten und Gegebenheiten unserer Verbrauchs- und  Vergnügungsgesellschaft zurückkehren können, und die Einsicht, dass wir den  Platz nicht verantwortungslos verlassen dürfen, an den uns das Leben nun  einmal gestellt hat? Bleibt nur das Wissen, dass wir durch das, was die Bibel  Sündenfall nennt, den unschuldigen Zustand des Paradieses für immer verloren haben, und deshalb unter dem ungestillten und unstillbaren Verlangen nach dem Eins-Sein mit der Schöpfung, mit unseren Mitmenschen, mit uns selbst und mit dem Urgrund allen Seins leiden?
Ist damit der Traum vom  einfachen Leben jetzt endgültig zu Ende geträumt? Ist er an der harten  Wirklichkeit zerplatzt wie eine bunt schillernde Seifenblase? Nein, ich denke, nicht! Ich träume ihn immer noch und immer noch gerne und ich bin dankbar dafür, dass es ihn gibt! Ich träume ihn immer dann, wenn ich in die Natut hinausgehe, wenn ich sie und ihre Geschöpfe zum Beispiel an meinen  Angeltagen hier an unseren mitteleuropäischen Flüssen mit den Augen und der Betrachtungsweise eines Häuptling  Seattle sehen und sie mit der Ehrfurcht seines Herzens behandeln kann. Und ich träume siesen Traum immer  dann, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze, das Yukon-Holz in meinen  Händen halte und an die vergangenen und vielleicht noch kommenden Tage und  Erlebnisse im Yukon denke.
Hans-Werner Schneider, im April 2001

							








